Mr Musa und der Tod

Mr Musa sitzt jeden Morgen am Tisch des kleinen familiären Thai Gästehauses und grüsst alle Menschen, die aus ihren Zimmern kommen. Er sitzt da, grüsst und sucht. Wann immer jemand ihn ansieht, nutzt er den Wimpernschlag einer Verbindung und erzählt etwas.

An einem Morgen kommt er zu mir herüber. Er fragt mich, ob ich mit ihm zum Flussufer laufen möchte. Wir laufen los. Er erzählt mir, dass er diese Gegend mag, weil hier so viel Leben ist. Ich verstehe ihn so gut. Ich landete hier zum ersten Mal 2012, auf meiner ersten grosse Reise alleine. Ich ging durch diese Gassen viele Kilometer mit meinem Herzen spazieren,  das einem zerhackten Tofuthaicurry glich und brauste suchend durch das grosse Bangkok in dem Karmataxi (klick für die Story hier). Mein Herz ist seitdem wieder zu einem grossen Ganzen mit Klebestellen geworden, manchmal wird alter Schmerz noch aktiviert, aber generell  ist es mehr bei sich angekommen. Jetzt gehen wir mit Mr Musas Herz spazieren. In diesem Viertel, wo ich 2012 schon war, hat sich in den letzten Jahren scheinbar nichts verändert. Das Gewusel auf dem Markt, der sich am Wasser entlang schlängelt ohne Ende in Sicht, die Muttis hinter den brummenden Garküchen, die Kids, die in Schuluniformen Süssigkeiten kaufen und aufgeregt an den Gehwegen hocken, neben ihnen getrocknete Chilis für den Verkauf, Katzen, die neben, vor und auf den Reissäcken hocken, die zwitschernden Vögel, der Geruch nach Räucherstäbchen, Fisch und Orangen, die Lampions in den raschelnden Bäumen, die Gesänge, die im Sonnenuntergang aus den Tempelanlagen heraus schwappen. Oberflächlich gleicht dieser Khet, einer der 50 Bezirke Bangkoks, dem von 2012, aber natürlich hat sich hier alles verändert. Alles.

Mr Musa und ich kaufen pinke Nudeln, Erdnüsse und Sprossen und sitzen auf einer Bank am Fluss. In zehn Minuten wird unser Essen im Magen sein, der es dann zersetzt und irgendwann landet es wieder in der Erde, da wo wir alle herkommen. Der Blick aufs fliessende Wasser macht klar, dass alles in Bewegung ist und damit in Veränderung.  Die schwimmenden Plastiktüten zersetzen sich Stück für Stück, der Fisch wird an den Plastikpartikeln ersticken oder gefangen werden und auf den Grill kommen oder eines natürlichen Todes sterben. Er stirbt wie wir alle sterben werden. Ja wir werden alle, alle sterben.

Perel singt in ihrem Song Alles:

„Ein Haus, ein Zaun, der Vogel erstickt, die Zeit, der Raum, nichts kommt zurück (……….) auf einem Hof, ein Herz zerbricht. Alles, was war, wird nie wieder sein, und alles, was ist, ist stets vorbei.“

Nichts bleibt wie es ist trotzdem möchten wir Zeit an-, und Menschen, Geschichten und Besitztümer oft festhalten.  „Dieser Moment soll niemals enden“ hören wir uns sagen. „Diese Liebe soll nie zu Ende gehen.“ Wir schwören uns, zusammenzubleiben bis der Tod uns scheidet. Manche ziehen das durch, andere nehmen schon vorher die Ausfahrt woanders hin. That’s life. Wer krampfhaft festhält, der leidet. Auf meiner Reise begegne ich immer wieder dem Konzept von attachment und detachment – Anhaftung und Ablösung. Das gibt es im Buddhismus und auch in der Yoga Philosophie, in den Sutras des Patanjali.

Um weniger zu leiden, sollte man lernen zu lieben und gleichzeitig loszulassen. Eine höchst anspruchsvolle Kunst.  Wer sein Leben 50 Jahre lang mit einer Person geteilt hat, der kann sich nicht mal eben so ablösen. Oft ist man da verschmolzen wie zwei Sandwichscheiben, ist zu einer Symbiose mutiert. Deswegen ist es wichtig, diesen Weg innerlich im Hier und jetzt zu starten während der, die, das, was wir lieben noch da ist. Man liebt durch Ablösung nicht weniger. Man kann sich trotzdem mit ganzem Herzen einlassen. Full Power.

(Auf meiner Reise durch die Welt und Spiriszene traf ich nicht wenige Menschen, die dieses Konzept der Ablösung als Ausrede dafür benutzen keine stetigen Beziehungen mehr zu führen und von einem Menschen zum nächsten zu hüpfen, sie werden so immer einsamer und disconnecteter –  so ist detachment nicht gemeint).

Unser Leben ist wie eine Brücke. Mit Anfang und Ende. In der Mitte bleiben wir oft „stehen“, bauen Haus und oder Karriere auf,  halten uns krampfhaft am Job fest, gerade weil man uns vermittelt jederzeit austauschbar zu sein, wir gründen vielleicht eine Familie, legen uns Autos zu, einen grossen Garten, kaufen Klamotten und noch mehr Klamotten und ganz viel Technik, neue Technik, immer neue Technik  und ignorieren, dass das alles schon Morgen vorbei sein kann und definitiv in einigen Jahrzehnten vorbei ist.  Wie ein sturer Esel wollen wir uns von der Mitte des Lebens nicht wegbewegen und nicht Älterwerden. Wir retuschieren Fotos und spritzen uns Zeugs ins Gesicht. Trotzdem werden wir älter und steuern auf das andere Ende der Brücke zu. So viel ist sicher. Mit der Theaterregisseurin Jessica Walker aus Barcelona  habe ich auf ihrem Festival in Indien eine Meditation zum Tod gemacht. Sie sagt: „Nacemos, crecemos, nos desarrollamos para desaparecer.“ Wir werden geboren, wir wachsen, wir entwickeln uns, um zu sterben.”  Es war meine intensivste Woche auf meiner Reise. Hier geht’s lang zum Text über diese Erfahrung.

Meditation über den Tod mit Jessica. Foto von Gonzalo Santos – https://gonzalosantos.com.ar

Im Buddhismus nennt man die Unbeständigkeit der Dinge „Anicca“. Alles befindet sich im Fluss, alles ist vergänglich. Aber wann immer die Vergänglichkeit zuschlägt, ist es zu früh für uns. Deswegen lehrt der Buddhismus uns im Moment zu leben, die Menschen um uns herum wahrzunehmen. Im Bus, im Zug, in der Kaffeebar, in der Arztpraxis. Ihnen zuzuhören vor allem den Älteren und  Mitgefühl und Liebe zu kultivieren.

Wir alle gehen den Weg auf der Brücke in erster Linie alleine und damit sind wir nicht alleine. Wenn wir das checken, gibt es eine Chance für echte Connection.

Ich kehre mit Mr Musa zurück zum kleinen Gästehaus. Am nächsten Morgen spreche ich mit Heidi, eine niederländische Künstlerin in meinem Alter, die im Zimmer nebenan wohnt.  Sie erzählt mir, dass sie Mr Musa vor einer Woche auf der Strasse traf. Er wirkte verloren und sprach sie an. Sie spazierten einige Meter zusammen bis Heidi vor dem kleinen Gästehaus stehen blieb. Er fragte sie interessiert, ob sie ernsthaft da gut wohnen könne. Sie sagte „Ja natürlich: es ist familiär und herzlich hier“.  Mr Musa, der ein Arzt aus Malaysia ist und der reichen Schicht angehört, war bis zu dem Tag in einem luxuriösen Fünf Sterne Hotel einquartiert, das er nur wenige Momente später verliess, um auch in diesem einfachen Gästehaus zu leben. Er erzählte Heidi, dass seine Frau vor zwei Jahren gestorben ist und dass er seitdem so einsam ist. Sie fehle ihm so sehr. Seine Einsamkeit wurde durch das anonyme unterkühlte Fünf Sterne Hotel in Bangkok noch verstärkt. Hier sprach man nicht mit ihm als älteren“fremden“ Alleinreisenden. Schon gar nicht, weil er eben etwas traurig aussah. Hier sass man stattdessen aufgemotzt wie auf einem Werbeplakat an der Bar, auf den schicken Bildschirm des I-pads starrend. 
Und während Heidi mir das erzählt und ich schon wieder Tränen in den Augen habe, kommt Mr Musa vom Markt zurück, um mit der Thaifamilie des Gästehauses zu beten und Mittag zu essen. Er packt noch ein Kartenspiel auf den Tisch und sieht zufrieden aus in dieser Gemeinschaft.  Die permanente Anwesenheit der abwesenden Ehefrau legt eine Pause ein:

Mr Musas Herz lässt sie los und liebt sie weiter…

 

Mucho Love, Yvi



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