Karma Taxi Part 2
Ich hatte mir das so easy vorgestellt. Nachdem ich mit Freunden mit einem Taxi morgens um 5 den Hügel hoch nach Sarankot gefahren bin, um mir anzusehen, wie die Sonne aufgeht und dabei um den Himalaya tanzt, entschied ich mich nicht mit dem Auto zurückzurollen, sondern zu Fuss nach Hause durch Landschaft und Dörfer zu spazieren.
Ich wusste, dass eine Strasse in einen Weg mündete, der nach unten zum See ging, wo ich wohnte. Ich lief los und merkte, dass es mehrere Gabelungen und keine Schilder gab. Nach einer Stunde stellte ich fest, dass es kaum runter ging, sondern nur in Serpentinenform von links nach rechts.
Nachdem ich von einigen Dorfbewohnern wie ein Pingpongball hin und her geschickt wurde, reichte es mir.
Ich hielt an einem Haus an und fragte die Familie, ob ich nicht einfach querfeldein runtergehen kann, einem ausgetrocknetem Flussbett nach, das von der Richtung her genau auf mein Zuhause treffen müsste. Mit gebrochenem Englisch bejahten sie, und eine Begleiterin tauchte auf. Eine kleine drahtige Bäuerin mit scharfem Blick und einem Stroh-Tragekorb am Rücken, der fast grösser war als sie selbst.
Sie lief schnellen Schrittes los, ich hinterher. Dazu plapperte sie wie ein Wasserfall auf Nepalesisch. Ich verstand nichts. Nach einigen Minuten tauchten zwei Boys im Gestrüpp auf. Mit erhobenem Buschmesser warnten sie mich vor der Frau. Sie wäre verrückt. Das konnte gut sein, denn sie redete immer schneller, wie ein Spoken Word Artist und droppte immer wieder ein Sprachgemisch aus drei Wörtern „nepalese, rupees und dschungle“. Dann stoppte sie und zog an meiner Halskette. Um sie zu beruhigen, gab ich ihr einen Hundertrupeeschein und rannte davon, die Nepalesin folgte mir. Der Dschungel wurde immer dichter, das trockene Flussbett endete im Gebüsch. Mit Indianerrufen näherten sich uns die Jungs, und es kam zu einem Showdown. Ich fing an zu Brüllen und heulte los. Die Nepalesin wurde ruhiger und gab auf. Die beiden Jungs machten mir den Vorschlag, mir den Weg zum Weg nach unten zu zeigen. Ich verneinte und lief weiter bis zu einem Abhang. Ende. Nun musste ich den beiden vertrauen. Wir liefen zusammen los und sie ermahnten mich, es wäre gefährlich alleine im Dschungel unterwegs zu sein, ein Tourist wäre, wo wir uns befanden, umgebracht worden. Eine Info, die es nicht besser machte. Ich war vollgetankt mit Schiss, mein Herz pumpte. Ich versuchte einen auf cool zu machen und quatschte mit ihnen über Hip Hop und Fussball. Ich erfuhr, dass Prakash und Samir beide 13 Jahre alt sind. Sie sind Bayern München Fans, beste Freunde und leben in einem Dorf am Berg. Prakash erzählte von seiner kranken Mutter, vom Onkel, der das Geld der Familie versäuft und von der Anspannung, die in seinem Zuhause wohnt. Prakash ist deswegen immer unterwegs zusammen mit seinem Kumpel Samir. Samir hat jetzt aber eine Freundin, Prakash möchte keine. Er möchte nur eins: Immer mit seinem besten Freund zusammen sein und vor allem frei sein!
Ich musste daran denken, wie ich vor einigen Wochen in Indien auf dem Arunachalaberg geklettert war.
Blick auf den Arunachaleswara-Tempel, mit einer Ausdehnung von knapp zehn Hektar ist er einer der größten Südindiens.
Drei Stunden ging es steil bergauf. Als ich mit meiner Gruppe in der Mittagshitze wieder abstieg, sass an einem Baum eine Frau, die das mittlere Alter überschritten hatte. Erst dachte ich, sie würde kurz ruhen. Ich ging weiter, um den Anschluss nicht zu verpassen. Dann schwappte ein leises Wimmern zu meinen Ohren herüber. Ich fragte sie, ob sie Hilfe bräuchte: „Ja, Wasser bitte“. Meine Gruppe war nun schon weiter unten, und ich immer noch bei ihr. Nach kurzer Zeit unterhielten wir uns auf Deutsch, bzw. sie auf Schweizerdeutsch. Sie erzählte mir, dass sie seit 25 Jahren in der Schweiz lebt und jedes Jahr nach Indien kommt, weil sie Inderin ist. Sie hätte aber in Indien keine Familienangehörigen mehr. Für ihren Shivabergtrip hatte sie einen Inder angestellt, der sie begleiten sollte und ihre Handtasche trug. Sie war barfuss, und weil sie dem Herren wohl zu langsam war, ist er ohne Rücksicht zu nehmen und ohne sich umzuschauen in seinem Tempo weitergegangen. Ohne sie. Sie hatte Panik und hing wie eine zu weich gekochte Nudel am Baum. Ich gab ihr meinen Arm, sie hakte sich unter, stand auf und setzte in Zeitlupe einen Fuss vor den nächsten. Durch die Mittagshitze waren die Steine aufgeheizt, ihre Füsse qualmten und sie war dehydriert. Auch nach einer halben Flasche Wasser, die ich ihr gab, war sie noch durstig und hungrig, es stellte sich heraus, dass sie morgens um 5 ohne Essen ohne Trinken und ohne Schuhe los ist. Das mit barfuss den Berg besteigen machen viele Inder. Ein Ritual ihrem Gott Shiva zu huldigen.
Ich wurde nervös, auf dem Berg war nun Backofenhitze und sie wollte nicht mehr weitergehen. Nach nur zehn Metern, fragte sie mich, ob wir gleich da sind. Ich machte ihr klar, dass wir in dem Schneckentempo noch Stunden brauchen würden und sie schmelzen wird. Sie jammerte und hatte Angst, ich konnte sie nicht stemmen. Ich wollte runterrennen und den Mann suchen, lief los, sie rief mir verzweifelt mit piepsiger Stimme im Schweizerdeutsch hinterher: „Warten Sie, lassen sie mich nicht alleine“. Ich blieb bei ihr. Dann kam endlich jemand, ein junger Inder. Er war auf den Weg nach oben und setzte sich auf einen Stein. Ich erzählte ihm aufgeregt, dass meine Gruppe weg ist, ich kein Handy habe zum anrufen und dass die Frau nicht mehr gehen kann und wir Hilfe brauchen. Er blieb gechillt und sagte im Predigerton, dass alles gut ist und ich mich nicht Sorgen sollte. Ich solle gehen und er würde auf die Dame Acht geben, indem er sitzen blieb. Irre. Dann wurde tatsächlich alles gut. Denn zwei Männer aus unserer Gruppe, Jannick und Blair, erschienen plötzlich, sie waren auf der Bergspitze länger geblieben und stiegen jetzt erst ab. Perfekt, sie hatten noch Wasser, Orangen, Datteln und Erdnüsse. Dann zeigte die Inderin mit dem Finger in die Ferne: „Da ist er!“ Zu dritt riefen wir nach ihrem Handtaschenträger, und er kam tatsächlich zurück. Auch er hatte Hunger. Nachdem wir beide mit ausreichend Essen und Trinken versorgt hatten, gaben wir dem Taschenträger zu verstehen, dass er sich um die Inderin kümmern musste. Da sie kaum von der Stelle wegzubewegen war, schlugen wir ihm vor erstmal ein paar hundert Meter weiter, die berühmte Meditationshöhle anzusteuern, wo man sich ausruhen konnte. Er versprach es. Die Inderin wollte meinen Kontakt, ich gab ihn ihr nicht, weil ich keine indische SIM Karte hatte und auch keine Geduld mehr, und so verabschiedeten wir uns, ohne unsere Kontakte auszutauschen.
Blair sagte: „Du wirst sie bestimmt wiedersehen so wie du in deiner Geschichte Karma Taxi (klick drauf) einen Taxifahrer in Bangkok durch Zufall wiedergetroffen hast als du dich verlaufen hattest und er dich dann heim brachte.“ Und ich traf sie wieder. Wir verbrachten eine Stunde an der Höhle mit dem Garten, und in dem Moment, an dem wir rausgingen, kam sie uns mit ihrem Handtaschenträger entgegen. Ihr Jammern wich nun einem Lächeln, sie nahm meine Hand und sagte: „Dankeschön, ich hatte so Angst, ich dachte an dem Baum, jetzt ist es vorbei. Sie haben mein Leben gerettet“. Das fand ich nett aber auch pathetisch. Nun gab ich ihr doch meinen Kontakt, nachdem sie nochmals darum bat. Ich erfuhr ihren Namen. Jeya Kovilan. Beim erneuten Abschied sagte sie zu mir: „Wenn man die Gelegenheit bekommt, auf dem Shivaberg, jemanden zu helfen, dann erhält man Gottes Segen.“
Gottes Segen löste ich in Nepal im Dschungel ein. Die Jungs brachten mich zu dem Pfad, der uns runterführte in die Stadt. Klitschnass geschwitzt, mit Kratzern an den Beinen und Sonnenbrand im Gesicht erreichten wir ein Café. Ich kaufte Wasser und Bananenkuchen für uns. Dann begleiteten sie mich noch bis nach Hause. Ich bin ihnen für immer dankbar.
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