11 Che Guevara besuchen
Auf dem Weg zu Che Guevara nehmen wir Platz auf verschlissenen spackigen Sitzen, vor uns eine Frau mit Spucktüte. Zum ersten Mal fahren wir auf unserer Reise durch Kuba mit dem Viazul Bus. Die Fahrt von Trinidad nach Santa Clara kostet 8 CUC – so um die 8 Euro, das können sich nur Touris und Business-Kubaner leisten. Drei Stunden später kommen wir am Busbahnhof an. Um uns herum bricht der Kampf aus: Ein Miniabbild dessen, was 1958 in Santa Clara abging. Che Guevara hatte damals dort seine grösste Schlacht gegen das Batista Regime, zusammen mit den guerilleros konnte er die strategisch wichtige Stadt erobern.
Wir versuchen uns am Busbahnhof einen freien Weg zu erobern, vorbei an hysterisch auf uns einredenden Männern, die untereinander konkurrieren. Alle wollen uns mitnehmen, mit Taxi oder Pferdekutsche. Wir wollen erstmal bleiben und unser Busticket für die Weiterfahrt nach Varadero kaufen. Der Viazulbusschalter ist ein kleiner Raum mit vergilbten Wänden. Ein Mann mit Fluppe im Mund und dicken goldenen Ringen an den Fingern nimmt unsere Namen auf. Meine Freundin ist Platz 1 der Busliste, ich Platz 2. Wir wollen das Ticket sofort bezahlen, er sagt nur abweisend, dass wir das übermorgen machen sollen, wenn wir weiterreisen. Ich habe ein komisches Gefühl, aber nichts zu machen, ohne Ticket gehen wir raus aus dem Busbahnhof.
Ein kubanischer Teenager fährt uns mit seiner Pferdekutsche zu unserer Casa Particular. Für 4 CUC. Wir ahnen, dass das viel zu teuer ist, aber das Pferd sieht so aus, als müsste es mal richtig essen, also geben wir ihm das Geld, sagen ihm er solle sein Pferd füttern und machen mit ihm aus, dass er uns für die Rückfahrt zum Busbahnhof in 2 Tagen abholt. Er freut sich über den Deal.
Unsere Casa liegt in der Altstadt, ein wunderschönes Kolonialstilhaus, das noch aus der Zeit der französischen Zuckerbarone ist, die im 18. und 19. Jahrhundert dort lebten. Beim Betreten wirkt es kühl – nicht von den Temperaturen her, sondern von der Atmosphäre. Eine Putzfrau ist den ganzen Tag damit beschäftigt, die staubfreien Nippesfiguren zu entstauben und über die vielen französischen Stühle und Bänke zu wischen, die im Wohnzimmer neben- und hintereinander gestapelt sind…. als wäre es eine Ausstellung. Lediglich der Flachbildfernseher, erinnert uns daran, dass wir 2016 haben und dass in diesem Museum jemand lebt. Eine höfliche Familie mit schöner Mutter, schönem Vater, schöner Tochter und schönem Sohn.
Der Familienvater ist ein hervorragender Koch und nach getaner Arbeit sitzt er vorm Fernseher. Weil unser Zimmer vom Wohnzimmer abgeht, müssen wir ihn manchmal stören und durchs Bild laufen. Stellt euch vor, ihr hättet jeden Tag Gäste, die durch eurer Wohnzimmer latschen…… nicht auszuhalten. Ich spreche die Mutter an, sie erzählt mir, dass sie seit 15 Jahren jeden Tag Gäste haben. Das zerstört jede Familie, denke ich. Auf mich wirkt alles wie eingefroren. Die Tochter, 16 Jahre alt, zieht ne Schnute als wenn sie kurz davor ist jemanden zu verprügeln, wenn sie nicht endlich in die grosse weite Welt darf, um Model oder Popstar zu werden. Ihr übergrosses Bild hängt aufdringlich und aufgehübscht im Wohnzimmer gegenüber vom Flachbildfernseher, es ist das Erste was wir beim Betreten der Villa zu Gesicht bekommen. Mit ihren feuerroten Hotpants, dem knappen Oberteil, sieht sie aus wie ein Boxenluder aus einem Pirelli Kalender. Sie ist auf dem Bild 15 Jahre alt und mit meinen ‚Läster’- Gedanken tue ich ihr etwas Unrecht, denn alle 15 jährigen Kubanerinnen machen solche Fotos zur Quinceañera: dem offiziellen Übergang der 15-Jährigen vom Kind zur Frau. Sie ist die Prinzessin der Familie, und ich stelle mir vor, wie sie davon träumt als Popstar mit den Pussy Cat Dolls durchzubrennen.
„Den Traum, es nach Amerika zu machen, haben fast alle jungen Kubaner“, sagt die Mutter. Nur nicht ihr Sohn, der studiert brav in Kuba, was auch gut geht, denn Santa Clara ist eine Studentenstadt und die revolutionärste noch dazu – nicht wegen der Schlacht damals von Che, sondern weil sie progressiv ist in Kunst und Kultur und Szene. In Santa Clara gibt es die einzige offizielle Drag Show, eine Graphiktruppe, die satirische politische Cartoons raushaut auch auf Fassaden und Mauern und hier findet das beste Rockfestival des Landes statt– Ciudad Metal.
Abends erleben wir in einem alternativen Zentrum ein Konzert von Musikern, die aus allen Ecken der Welt stammen, machen aber nicht zu lang, weil wir am nächsten Tag Che treffen wollen.
Auf dem Weg zu seinen Knochen, kommen wir noch mal am Busbahnhof vorbei. Wieder hysterische Männer, die uns irgendwohin bringen wollen.
Ich werde zum ersten Mal richtig laut, weil sie ein Nein einfach nicht akzeptieren und brülle „NO. NO. NO. Gracias NO. Basta ya!“ Mit diesem Mantra gehen wir noch mal zum Raum, in dem die Bustickets verkauft werden. Dieses Mal sitzt dort eine Frau. Ich sehe die Liste und unsere Namen darauf, sie sagt: „Alles in Ordnung, seien Sie bitte morgen früh um 7 – eine Stunde vor Abfahrt – da, dann gibt es die Papiertickets.“
Ok, wir ziehen ab. Zu Che, der beim Monumento Memorial Comandante Ernesto Che Guevara übergross auf einem Sockel thront, und sagen ihm hallo.
Wir schlendern weiter durch die Strassen mit giftgrünen Hochhäusern und über den „Boulevard“ – das ist die Haupteinkaufstrasse der Innenstadt, wo nicht viel einzukaufen ist.
Im Supermarkt wollen wir uns ein paar Nahrungsmittel zulegen. Prima Bier, Tropi Cola und Cracker. Bei Letzterem sagt die Kassiererin: „NO!“ und nimmt sie zurück. Ich frage, warum ich die nicht kaufen darf, ein Kubaner sagt etwas zu ihr, was ich akustisch nicht verstehe, daraufhin gibt sie mir die Packung kommentarlos zurück und ich bezahle. Ich schiebe mir einen Cracker in den Mund und denke, dass so Pappkarton schmecken muss. An der Ecke zu unserer Villa verkauft eine alte Dame Kekse an ihrem Fenster. Damit überschreibe ich schnell den fiesen Geschmack und spüle Tropicola hinterher.
Am nächsten Morgen ist es Zeit, Santa Clara zu verlassen. Die Mutter fragt uns, wer uns abholt – wir sagen ihr: „Der Pferdejunge von vorgestern“. Sie will wissen, was wir gezahlt haben – „4 CUC“, sie schlägt die Hände überm Kopf und meint, dass 1 CUC das Maximum pro Fahrt ist. Pünktlich wie vereinbart steht der Junge vor der Villa. Die Mutter ruft ihm vom Fenster aus in einem groben unfreundlichen Ton zu, er solle hochkommen und unser Gepäck runterholen. Er gehorcht, sprintet die Treppen hoch und nimmt unsere schweren Taschen und wir, ja wir laufen konsterniert hinterher. Peinlich alles. 10 Minuten später kommen wir am Busbahnhof an und wollen ihm kommentarlos 1 CUC zustecken und einfach mal ohne Konflikt weiterreisen. Er ist entsetzt und will wieder 4 CUC wie auf der Hinfahrt. Wir sagen ihm, dass wir nun wissen, dass 1 CUC üblich ist. Er sagt „No!“ In seinem Gesicht wechseln sich in nur zehn Sekunden Wut, Verzweiflung und Trauer ab. Sein Pferd, halb verhungert, kuckt uns an. Es ist nicht auszuhalten: Dann zieht er alle Register: Er schaut drein, als ob er von der Liebe seines Lebens verlassen worden ist. Für mich ein emotionaler Supergau. Dieser Zwiespalt zwischen Mitleid, Mitgefühl, ausgenutzt werden und Wut darüber ist in Kuba ein beständiger Reisebegleiter. Der Kampf um Kohle in Santa Clara nervt, ich denke „Scheiss drauf.“ Wir stecken ihm wieder 4 CUC zu und hauen ab.
Unsere Abfahrt aus Santa Clara erlebt nun den Showdown.
Wir betreten das Busbahnhofsgebäude. Es ist übervoll mit Menschen. Der Raum mit den Bustickets ist verschlossen. Wir hämmern gegen die Tür, geben nicht nach bis uns die Info erreicht, dass der Bus, mit dem wir nach Varadero fahren wollten seit 3 Wochen ausgebucht ist……… Reingelegt! Um uns rum, Menschen in derselben Lage.
Der Bus fährt ohne uns ab. Jetzt stürmen die hysterischen Männer auf uns zu, einer von ihnen wird uns mit einer alten Karre aus den 90ern nach Varadero fahren. Eine Karre mit Loch.
SANTA CLARA
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