Straßenkindern in Nepal ein Zuhause geben – Diana Weinert

Ein Junge lag gestern mitten im Touristenviertel Thamel auf dem Gehweg. Dem Viertel, wo Verkäufer jeden scannen und auffordern zu kaufen. Auf diesem Gehweg vor diesen Läden lag dieser regungslose Körper. Das Gesicht am Asphalt. Ich schaute hin, überlegte und ging weiter. Wie alle anderen. Dann zog es mich zurück. Ich fragte im Laden, vor dem der Junge lag, was zu tun ist. Eine Nepalesin kuckte mich beschämt an, und erklärte mir, der Junge käme jeden Tag. „Er kommt also jeden Tag, um bewusstlos auf dem Gehweg zu liegen?“ fragte ich. Sie bestätigte. Ich besorgte was zu essen und zu trinken – Traubensaft, Kekse. Wasser. Und kontaktierte Diana Weinert. In Pokhara am Fusse des Himalaya lernte ich sie kennen. Sie kümmert sich ehrenamtlich und auf Eigeninitiative um Strassenkinder in Nepal.  Sie gab mir den Kontakt zu einem Kinderhilfswerk in Kathmandu. Ich rief an. Skeptisch aber freundlich wiesen sie mich darauf hin das Dropcenter in Thamel anzurufen. Das wiederum bat mich, die Polizei zu kontaktieren. Zum ersten Mal in meinem Leben wählte ich 101 und nach einigen Minuten Verständigungsschwierigkeiten – „Engliiiiiiish please!“ kapierten sie, was los ist und wo sie hinkommen sollten. Ich wartete und beobachtete die vorbeigehenden Menschen. Eine Asiatin, im Superfashionistastil hielt an, zog ihren Lippenstift nach, machte ein Selfie und registrierte dann, dass vor ihr ein Junge mit verdreckt-zerfetzten Klamotten am Boden lag. Sie schenkte ihm gefühlt eine halbe Sekunde, glotze dann wieder ins Smartphone und ging schliesslich weiter. Eine ältere Dame schlug die Hände vors Gesicht und sagt „Oh my God, my heart breaks!“ Ihr Lover stand ratlos wie ein kleiner Junge hinter ihr. Ich forderte beide auf zu bleiben und zu helfen. Sie gingen weiter. Viele, die die Strasse entlang schlenderten, nahmen den Jungen wahr. Dann stoppte jemand und blieb. Ein Nepalese.  Er weckte den Jungen auf. Benommen setzte er sich halbaufrecht hin, sein Gesicht kam zum Vorschein mit einer Wange, die von starken Asphaltabdrücken gezeichnet war. Ich sprach mit ihm, der Nepalese übersetzte. Er heisst Ruslan, ist 11 Jahre alt und hat keine Eltern mehr. Er ist Klebstoffabhängig wie so viele der tausend Strassenkinder in Kathmandu. Sein Blick war milchig-stumpf und schon wieder im Suchtmodus nach dem nächsten Zeug, das seinen Schmerz platt machen soll, darüber, dass familiäre Liebe ihm enthalten bleibt, und dass die meisten Menschen wegschauen. Während er die Herzenkekse verschlang, die ich ihm pathetisch mitgebracht hatte, ahnte er langsam, dass was im Busch war. Die Polizei kam und fuhr mit ihrer fetten Karre an uns vorbei. Ich rief hinterher, aber sie fuhren zu schnell. Dann ein Anruf von ihnen, wo ich denn mit dem Jungen sei. Ich bat sie zurückzufahren. Das machten sie und der Junge checkte die Lage und rannte fort. Erst wankend, dann immer schneller. Er liess Wasser und Saft  stehen, die Herzchenkekstüte nahm er mit. Die Polizei kam zwei Minuten zu spät, die vier Beamten fragten mich, ob der Junge ernsthaft  – also lebensgefährlich  – verletzt sei. Ich sagte ihnen, dass er benommen und mit geschwollener Wange am Boden lag. „Ach, er ist süchtig. Da ist nichts zu machen“ erklärten sie nüchtern mit verschlossenem Herzen. Mitleid spürte ich nicht, dafür mir gegenüber etwas Hohn, dass ich mich um so“was“ kümmere. Ich versuche das nicht zu werten und weiss, dass es unglaublich viele dieser Strassenschicksale gibt. Da müsste die Regierung anpacken mit Geld, Power und Herz.

Diana Weinert aus Köln hat Power und Herz.  Sie kommt immer wieder nach Nepal, um Strassenkindern zu helfen.

Jetzt verstehe ich sie umso mehr, warum sie sich einsetzt. Als ich sie vor einigen Wochen auf der Strasse in Pokhara kennenlernte, erzählte sie mir von Ashish, einem Jungen, der am See lebt. Seine Klamotten sind nicht ganz so dreckig und zerfetzt wie die von Ruslan und er scheint auch nicht drogenabhängig zu sein. Noch nicht. Er ist 9 Jahre und von zuhause fortgelaufen. Sein Vater ist alkoholabhängig, die Mutter mit einem anderen Mann fortgegangen. Ashish ist wie ein wilder Hundewelpe. Er lässt sich nicht bändigen. Gefühlt alle Langzeittouris, die sich in Pokhara niedergelassen haben, kennen den Jungen. Er hüpft auf Tischen, rennt umher, reisst einem die Kopfhörer von den Ohren, jammt mit den Hippies und schaut einen mit feurig-begeisterten Augen an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diana versucht seit vier Wochen diesen Jungen in ein Kinderdorf bei Pokhara zu bekommen, wo er leben und lernen soll. Sie tut alles dafür Ashish eine „Ausbildungs-Heimat“ zu geben, fuhr immer wieder in den letzten Wochen stundenlang Bus zum Dorf des Vaters, um Papiere zu besorgen, die sie für den Antrag einen Platz für ihn zu bekommen benötigt.  An einem Morgen durfte ich sie dann zum Kinderdorf in Bhakunde  bei Pokhara begleiten. Ashish sollte auch mit, der war aber wieder verschwunden. Wir gingen also ohne den Jungen dorthin.

Wenn er wüsste wie schön es dort ist, wäre er nicht schon wieder abgehauen. Ein Deutscher betreut dieses Kinderdorf mit seinem „Freundeskreis Nepalhilfe e.V.“ Gelegen in schöner Landschaft mit Garten, Gemüseanbau und Tieren, leben hier aktuell 80 Waisen, Halbwaisen und Kinder aus schwierigen Elternhäusern. Ein guter warmherziger Ort, der den Kindern eine Heimat gibt, von wo aus sie nach Klasse 8 gestärkt und vollgetankt mit wertvollem Wissen weiterfliegen können. Oft auch mit Medaillen und Pokalen. In Karate sind sie spitze. Wie eine 16-Jährige Nepalesin, die mittlerweile in Pokhara lebt, aber regelmässig zu Besuch kommt, um Lehrer Betreuer und Kids wiederzusehen. Es ist eben Familie. Bedenkt man, dass die Hälfte der über 14-Jährigen Nepalesen Analphabeten sind und nur die Hälfte der eingeschulten Kids den Grundschulabschluss schafft, ist das Kinderdorf eine grosse Chance.

„Wie benehme ich mich mit den Nachbarn?“ ist der Unterrichtsstoff

Wir haben die Klassen besucht, alle waren total vertieft im Unterricht: Sie lernen: „Wie benehme ich mich den Nachbarn gegenüber“ oder Wertschätzung: „Wie führe ich ein Gespräch mit meinem Partner?“ Ich dachte, wenn sie aus so krassen Verhältnissen kommen, sind sie vielleicht schwer zu bändigen. Das Gegenteil war der Fall. Sie hatten so Bock aufs Lernen. Nach dem Pausengong dauerte es noch zwei Minuten bis sie die Bücher zuschlugen. Auf dem Schulhof zeichneten sie in mein Heft, einer nach dem anderen. Bangitay, ca. sechs Jahre, zauberte mit dem Bleistift ein Mädchen aufs Papier, wunderschön. Ich fragte ihn, ob er mehr malt und mir was zeigen kann…Am Ende der Pause steht er schüchtern weit von mir entfernt in der Ecke und hält ein Bild in seiner Hand. Ich gehe auf ihn zu und sehe wieder eine Zeichnung von einem langhaarigen Mädchen mit geschwungenen Formen.

Ashish ist im Kopf schon wieder unterwegs

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Kinder sind besonders.Vielleicht haben sie begriffen, was es bedeutet hier lernen und leben zu dürfen.

Nachtrag 2021: Ashish geht jetzt in die Sahara Academy, lernt fleißig und spielt viel Fußball!

Wenn ihr das Kinderdorf mit den Kids supporten wollt, dann könnt ihr spenden oder Patenschaften übernehmen oder sogar Mitglied werden im Verein. Ihr findet alles, was ihr wissen wollt auf deren Seite und ein schönes Video von der Atmosphäre.

www.nepalhilfe.de

Be Happy! Video von dem Kinderdorf.

https://www.youtube.com/watch?v=4BK-AYXP7h4&feature=youtu.be

Wenn Diana nicht gerade Strassenkindern hilft, dann bastelt sie Reisen zusammen, um Menschen Nepal näher zu bringen. Mit Kinderdörfern, Homestays und Gegenden, die Tourifrei sind. Informationen zu Dianas Reisen stecken hier.

www.nepal-fuehlen.de

FB: https://www.facebook.com/nepalfuehlen/

 



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